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Ministipendium mit Sadaf



Zweiter Mittwoch-Nachmittag mit Sadaf.

Heute haben wir an den Gedichten „Gerechtigkeit“ und „Mein Land“ gearbeitet.

Sadaf hat mir erzählt, dass ihr das Gedicht „Mein Land“ auf der Flucht, im Grenzgebiet von Afghanistan und Iran „gekommen“ sei. Sie hatte aber keinen Schreiber, kein Papier, um es aufzuschreiben. Vielleicht ein Jahr später, über die Türkei in Griechenland angekommen, sei ihr das Gedicht wieder eingefallen. In Griechenland hatte sie Papier und Stift und schrieb das Gedicht nieder.

Wir publizieren hier eine Arbeitsfassung der Übersetzung. In den Klammern stehen wörtliche bzw. freie Übersetzungen, die wir das nächste Mal noch einmal gemeinsam anschauen.



Mein Land


Ich habe mein Land (lange) nicht gesehen

Ich bin müde, ich verabschiede mich (gehe) von dieser Welt

Ich habe (lange) keine Blume gepflückt

Ich bin müde von dieser Welt

Ich habe mein Land so oft in Brand gesehen

Ich sehe mich, wie ich mein Land sehen muss (Laune) und bedecke mein Gesicht

(Wenn ich mein Land so sehen muss, bedecke ich mein Gesicht)

Meine Augen sind (noch) nicht getrocknet (nicht trocken)

doch für die Taliban ist noch nicht genug Blut vergossen

Ich habe geköpfte Menschen gesehen

dieses Bild geht mir nicht mehr aus dem Kopf (dieses Bild kommt mir immer in den Sinn)

Meine Mutter sagt Muska, komm

wir gehen in ein anderes Land

Ich gehe jetzt, mein Herz und meine Gedanken

bleiben bei den zurückgelassenen (armen) Menschen

Ich bin in die Schweiz gekommen

und viele Menschen sagen, die Schweiz sei das Paradies

Für mich ist es schwierig, im Paradies zu bleiben (sein)

weil es in meinem Land immer noch brennt (das gleiche Feuer tobt)

Die Kleider meines Landes (meiner Landsleute) sind immer noch blutgetränkt

Ich sehe das Blut auf den Kleidern und der Schmerz schnürt meine Kehle zu, ich weine

Ich habe eine Mutter schreien gehört

Ich habe tausend Erinnerungen an diesen Schrei

Mein Land ist gevierteilt

in Osten, Westen, Norden, Süden

Ich sehe diese Viertel

und frage mich: warum ist das so?

Ich sehe einen Vater weinen

und das ist so schlimm wie hundert Wunden (Blut)

Das ist (war) mein (ganzes) Gedicht von meinem schmerzgeplagten Land,

das ich verlassen habe

Muska

 

137 - Ministipendium Nr. 6, Sadaf Murat. Schreibcoach: Jurczok 1001.


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